Die Bundesregierung hat am 18. April 2012 beschlossen, das Mandat für den Bundeswehreinsatz zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias zu erweitern. Dieser Einsatz findet im Rahmen der EU-Mission Atalanta statt und hat die Aufgabe, einen Beitrag zu leisten zum Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, der Seetransporte der Eingreiftruppe der Afrikanischen Union AMISOM und anderen, besonders verwundbaren zivilen Schiffen. Zudem soll der Marineverband die somalischen Piraten bekämpfen und abschrecken sowie die Fischereiaktivitäten vor Somalia überwachen. Erfolgte dieser Einsatz bislang ausschließlich auf See, so soll es nach der Erweiterung des Mandats möglich sein, auch an Land gegen die Piraten vorzugehen. Auf EU-Ebene wurde eine entsprechende Ausweitung der Befugnisse bereits Ende März beschlossen, nachdem die somalische Übergangsregierung vorab ihre offizielle Zustimmung erteilt hatte. Sollte der Bundestag dem Entwurf der Bundesregierung zustimmen, dürfen Bundeswehrsoldaten künftig am Strand der Küste Somalias in einem Streifen von zwei Kilometer Tiefe Piratenlogistik wie z.B. Boote, Waffenlager oder Treibstoffvorräte zerstören.
Dieser Beschluss ist zu Recht umstritten. Für die Mandatserweiterung spricht, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung der Piraten negativ beeinflusst werden könnte. Bislang ist das Geschäftsmodell der somalischen Piraten so lukrativ, dass sich das kriminelle Geschäft trotz einer bislang beispiellosen
Zusammenarbeit internationaler Flotten lohnt. Wenn künftig also die Ausrüstung der Piraten auch an Land zerstört wird, so die Überlegung, könnten Angriffe der Piraten bereits präventiv verhindert und ihre Investitionskosten in die Höhe getrieben werden. Damit würde das Geschäftsmodell weniger attraktiv. Für die Mandatsausweitung spricht ferner, dass die Piraten und ihre Hintermänner die Konsequenzen ihres Handelns weitaus direkter zu spüren bekämen als es bislang der Fall ist. Ein weiteres Pro-Argument ist, dass Piraterie organisierte Gewaltkriminalität ist und entsprechend mit repressiven Mitteln bekämpft werden muss.
Die Gegenargumente wiegen allerdings schwer. Erstens könnte es zu einer Eskalation kommen. Soldaten sollen zwar nicht an Land eingesetzt werden – es sei denn für Rettungsmaßnahmen, falls z.B. ein Hubschrauber abgeschossen wird. Dann bestünde aber die Gefahr, dass die Rettungsteams in Gefechte verwickelt werden. Zweitens ist zu erwarten, dass die Piraten lernfähig sind und ihre Logistik weiter ins Landesinnere verlegen. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob der Interventionsstreifen dann nicht nachträglich erweitert werden müsste, was wiederum die Eskalationsgefahr erhöhen würde.
Drittens kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Piraten Geiseln als menschliche Schutzschilde missbrauchen oder einfache Somalis als Wachen für die Infrastruktur einsetzen. Es bedarf also einer eindeutigen Aufklärung und Lageanalyse. Diese ist im Übrigen auch notwendig, weil zweifelsfrei zu klären ist, ob Boote und Treibstoffdepots wirklich von Piraten und nicht von Fischern genutzt werden. Ist eine derart exakte Aufklärung jedoch überhaupt leistbar? Viertens müsste sichergestellt werden, dass die Küstenbevölkerung durch diese Militäraktionen nicht gefährdet wird und sie deren Sinn auch versteht. Sonst könnte die Propaganda der Piraten das internationale Vorgehen als aggressiv und antisomalisch darstellen. Dadurch könnte nicht nur die Perzeption vieler Somalis gestärkt werden, die Marineverbände seien doch eigentlich vorrangig wegen des Schutzes der internationalen Fischfangflotten präsent. Auch das politische und soziale Engagement der EU in Somalia könnte in ein negatives Licht gerückt werden, was insbesondere für internationale Vertreter in Somalia ein erhöhtes Risiko mit sich bringen könnte. Schließlich ist zu fragen, ob und wie die Regeln eines polizeimäßigen Gewaltmitteleinsatzes eingehalten werden können. Die Piraten sind schließlich keine Kombattanten im Sinne des Kriegsrechts, sondern schlicht und einfach Kriminelle.
Aus dem bislang Gesagten folgt: Die Erweiterung des Mandats ist zu befürworten, wenn der Einsatz unter strikter Beachtung polizeilicher Einsatzregeln, eindeutiger Aufklärung und Einbeziehung der Küstenbevölkerung erfolgt. Unter diesen Bedingungen dürfte der zu erwartende Erfolg aber bescheiden bleiben, sodass sich die Frage stellt: Lohnt das mit dem Einsatz verbundene Restrisiko den ganzen Aufwand überhaupt? Müsste die seit Jahren festzustellende „Militarisierung“ des internationalen Somaliaengagements nicht endlich einem neuen Ansatz weichen, der keine temporäre Eindämmung somalischer Probleme durch militärische Intervention, sondern deren Regelung durch genuin somalische Ansätze selbst zum Ziel hat? Ein Ansatz der weniger auf Zusammenarbeit mit der korrupten und unfähigen Übergangsregierung in Mogadishu setzt, sondern vielmehr auf die Kooperation mit und Aktivitäten von lokalen Akteuren wie Klans, Honoratioren und substaatlichen Einheiten?
So wäre es sinnvoller, den Aufbau lokaler Polizeikräfte und Küstenwachen zu unterstützen sowie die Stärkung des lokalen Justiz- und Gefängniswesens voranzutreiben. Das braucht natürlich seine Zeit, wäre aber nachhaltiger. Ebenso sollten Programme zur Gewalt- und Kriminalitätsprävention in den betroffenen Gebieten entwickelt werden, die auf Initiativen lokaler Gemeinschaften aufbauen. Zudem sollte dringend die unselige Catch-and-Release-Praxis eingestellt werden, also die Praxis, dass Piraten nach ihrer Festnahme gleich wieder freigelassen werden, weil die Staaten sich zieren sie vor Gericht zu stellen: Der abschreckende Auftrag von Atalanta wird durch dieses Vorgehen nicht nur ad absurdum geführt, eine wichtige Säule der Kriminalitätsbekämpfung wird durch diese vorschnelle Aufgabe der staatlichen Verantwortung zur Strafverfolgung massiv geschwächt. Zudem ist es von herausragender Bedeutung, den Fokus auf die Verfolgung der Hintermänner und Drahtzieher des somalischen Pirateriegeschäfts zu legen. Allerdings sollte man sich keine Illusionen machen: Es wird keine schnelle und einfache Lösung des Piraterieproblems geben, weder mit der Erweiterung des Mandats noch ohne sie.
Hans-Georg Ehrhart & Kerstin Petretto
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